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Die Arbeitsgemeinschaft Freiberuflicher Restauratoren in Breslack

Von Zauberei weit entfernt dem Wunder entgegen

Restaurierungen sind heute eine gängige und alltägliche Praxis zur Aufbereitung von Kunst- und Kulturgut. Jedes Kunstwerk geht irgendwann in irgendeiner Form durch die Hände eines oder mehrerer Restauratoren. Wird einem Restaurator vom Auftraggeber ein Kunstwerk übergeben, fallen nicht selten Schlagworte wie „neu machen“, „Schäden unsichtbar machen“ oder „den Urzustand wiederherstellen“. Für diese Art der Erwartungshaltung findet sich in der Literatur seit ca. 1900 die romantisierende Umschreibung vom „Zauberer mit vermeintlichem Wunder-Arkanum [Geheimmittel]“. Was aber ist das Wunder wirklich?

In Breslack arbeitet seit 1996 die Arbeitsgemeinschaft Freiberuflicher Restauratoren. Das Gehöft ist Familienerbe und der größte Bauernhof im Dorf. Die Gebäude dienten als Gastwirtschaft, Kindergarten, Schule und LPG-Büros, bevor 1987 mehrere Kunststudenten aus Berlin-Weißensee das Gehöft für Studien, Ausstellung und Feste nutzte. Heute sind der Ort und die Region unmittelbarer Lebens- und Arbeitsmittelpunkt für eine Gruppe von Freunden mit sehr unterschiedlichen Berufen, darunter Architekten, Maler, Chemiker und Lehrer sowie die Restauratoren Dorothee Schmidt-Breitung, Susanne Linzer, Lukas Böwe und Christoph Schröter. Im Haupthaus, ca. 1846 errichtet, befinden sich heute alle privaten Räume wie Küche, Kinderzimmer, Schlaf- und Wohnzimmer. Der ehemalige Altenteil und die Backstube werden gemeinschaftlich genutzt, ebenso das Stallgebäude, in dem die Werkstätten untergebracht sind. Das Torhaus, früher der Pferdestall, bildet den Abschluss des Vier-Seiten-Bauernhofes und ist zugleich Durchgang zur Wiese, dem grünen Teil des Anwesens.

Breslack ist Studien- und Arbeitsort

Bereits während des Studiums wohnten die Freunde in Breslack, und so gab der Ort auch den Impuls, das Thema für die Diplomarbeit in der Region zu suchen. Für Dorothee waren es die Restaurierungsarbeiten in der Sakristei der Marienkirche in Beeskow und für Christoph weitreichende Untersuchungen und restauratorische Eingriffe an der Ragower Mühle. Den Projekten folgten weitere Aufträge vor Ort. Restauratoren besitzen neben ihren erlernten manuellen Fertigkeiten auch fundiertes Materialwissen in Analytik, Chemie, Physik, Kunstgeschichte, Museologie. Entsprechend vielseitig und geheimnisvoll geht es in den Werkstätten zu. Da riecht es nach Schmieröl, Holz und Farbe, da wird gesägt, gespannt oder genietet und vor allem gekittet, retuschiert, verklebt und übermalt. Doch erschafft hier niemand zerstörte oder verlorene Dinge mit Wundermitteln neu, vielmehr wird bei restauratorischen Maßnahmen der vorgefundene Zustand stabilisiert und versucht, durch behutsame Eingriffe einen Annäherungswert an das ehemalige Erscheinungsbild zu schaffen. Dem geht immer eine ausführliche Befunduntersuchung voraus, bei der die Schadensphänomene dokumentiert und ein Bearbeitungskonzept erstellt werden. Wie zum Beispiel bei der Sieversdorfer Kirche, wo die Restauratoren seit zwei Jahren an der kompletten Sanierung mitarbeiten und die restauratorische Bauberatung übernommen haben. Das barocke Epitaph der Kirche restauriert Dorothee in der Werkstatt. Reduzierung des Oberflächenschmutzes, Schließung von Ausbrüchen der Malschicht und Retusche bilden wichtige Etappen der zeitaufwendigen Arbeit. Auch zwei Epitaphen der Frauenkirche von Halberstadt gingen durch diese Werkstatt, ebenso 60 Gemälde des Kunstarchivs Beeskow, deren Oberflächen und Rahmen gereinigt oder ausgebessert wurden. Gearbeitet wird sowohl in der Werkstatt als auch vor Ort.

Bundespreises für Handwerk in der Denkmalpflege 2004

Von großer Wichtigkeit für die Gruppe waren die gemeinsamen Restaurierungsarbeiten im Büropalais Eger am Tempelhofer Ufer in Berlin-Kreuzberg. Die prächtige Villa aus der Gründerzeit wurde erst in den 90er Jahre wieder entdeckt. Zuletzt wurde das Haus als Gastarbeiterwohnheim und Asylantenheim genutzt. Die Primus AG & Co. ließ als Eigentümer das repräsentative Wohngebäude in enger Absprache mit der Denkmalpflege instand setzen und zu einem Bürogebäude umbauen. Nachdem man während der Planungsphase umfangreiche denkmalpflegerische Befunde festgestellt hatte, wurde u.a. die Arbeitsgemeinschaft aus Breslack mit der Restaurierung der Wand- und Deckenbemalungen des Haupttreppenhauses sowie der Holzpaneele mit feingliedrigen Intarsien im Intarsienzimmer beauftragt. Für die Restauratoren war diese umfassende Arbeit auch deshalb von Bedeutung, weil beim Ausmalen der Räume ebenso künstlerischer Ideenreichtum in Form- und Farbkomposition gefragt waren. Der Umbau erhielt 2004 den 1. Preis des Bundespreises für Handwerk in der Denkmalpflege.

Aber der Aktionsradius der Restauratoren ist nicht auf die Region begrenzt. 2000 fuhren Dorothee und Christoph mit ihrem gerade neun Monate alten Sohn für ein halbes Jahr in den Süden von Mexiko, wo sie in einer Grabkammer der Ureinwohner Mexikos an der Restaurierung einer Wandmalerei aus dem 5. Jahrhundert mitarbeiteten. Mit solchen selbsternannten „Auszeiten“, wie beispielsweise auch sechs Wochen in Italien oder zwei Monate in Kuba wird nicht nur der persönliche Horizont erweitert, sondern ebenso sind die Reisenden auf der Suche nach neuen Erkenntnisse für die eigenen Arbeiten.

Das Wunder von Ratzdorf

Wichtigstes Referenzobjekt allerdings ist die „Kajüte“ in Ratzdorf. Die Ausflugsgaststätte am Oder-Neiße-Radweg war 1999 dem Verfall preisgegeben. Es drohte der endgültige Abriss. Zusammen mit Freunden kauften die Restauratoren das Anwesen und begannen in einer dreijährigen Bauphase das Haus auf eigene Kosten zu sanieren. In Ratzdorf, wo die Neiße in die Oder fließt, war seit dem 18. Jahrhundert ein Umschlagplatz für die Oderschifffahrt und von 1880 bis 1965 eine Schiffswerft. Daher trug auch die Ausflugsgaststätte immer maritime Namen, wie zum Beispiel „Goldener Anker“. Im November 2002 wurde sie allerdings unter dem Namen der Konsumgasstätte „Kajüte“ aus den 50er Jahren eröffnet. Warum sollte bei der Erhaltung von baulichem Erbe nur der Schiffertradition des 19. Jahrhunderts gedacht werden und nicht der jüngsten Geschichte? Die Namenswahl ist ein bewusstes Anknüpfen an das, was in den letzten fünfzig Jahren an diesem Ort für die Menschen bedeutsam und wichtig und wertvoll war.

Das kleine Wunder von Ratzdorf ist vollbracht: 45 Plätze in der Gaststube, ein 200 m² großer Saal mit Bühne und ein Biergarten unter der alten Pappel. Von April bis Dezember finden monatlich Konzerte, Lesungen, Theater und Kinoabende an einem Ort statt, der schon für Tod erklärt war. Die Besucher kommen aus allen Himmelsrichtungen: Berlin, Prag, Poznan, Kopenhagen. Die beachtlichsten und authentischsten Gäste aber sind die Bewohner von Ratzdorf. Sie kommen um zu feiern, sie kommen zum Mittagessen pünktlich um 12.00 Uhr und sie kommen zum Kaffeetrinken pünktlich um 14.00 Uhr. Am Tresen und in der Küche steht Katrin Schulze, eine junge Frau aus dem Dorf – sie hat einen Arbeitsplatz.

Das kleine Wunder von Ratzdorf wächst Tag für Tag. Haus und Inventar werden aus denkmalpflegerischer Sicht instand gesetzt. Der Gastraum ist komplett ausgebaut: Jeder Tisch, jeder Stuhl, jedes Fenster, jede Tür, jeder Beschlag, der Tresen und der Fußboden sind restauriert – hier lässt sich die ganze handwerkliche Meisterschaft und künstlerische Virtuosität des Restaurierens an profanen Dingen bestaunen und begreifen. Ob die Holzpanelen im kleinen Schifffahrtszimmer oder die Wandmalerei in den privaten Gästeräumen – die Restauratoren probieren Neues aus und vervollkommnen ihre Fertigkeiten. In der Kajüte wird nicht weggeworfen was wahrhaftig ist. Der große, alte Kachelofen in der Gaststube wurde wieder hochgezogen. Er bildet das Herzstück des Raumes. Jeder fühlt sich an kalten Tagen zu ihm hingezogen, um dann mit warmen Rücken auf die Oder zu blicken. Fotos: www.kajuete-ratzdorf.de

Vom Erhalt des Kulturguts zum Schutz der Umwelt

Gealtertes Material kann nicht verjüngt werden. Im Gegenteil, gerade eine sichtbare Altersoberfläche bedingt Wert und Achtung vor einem Gegenstand – ob in der Kunst, im Alltag oder auch in der Landschaft. Das Ziel einer sinnvollen Restaurierung kann nur sein, jegliches Kulturgut in einen stabilen Materialzustand zu führen, der glaubhaft und ehrlich die Lesbarkeit und das Verständnis im aktuellen wie im historischen Kontext gewährleistet – ohne jedoch das tatsächliche Alter und die Geschichte zu verleugnen oder zu verschleiern. Jahr für Jahr weichen der Modernisierung und Sanierung von Straßen und Gewerbezentren ganze Alleen von Bäumen. Aber mit jedem gefällten Baum verkommt die einmalige und spezifische Altersoberfläche der Region zu einem austauschbaren und beliebigen Landstrich. Damit sich das Bewusstsein der Gesellschaft entsprechend ändert, engagieren sich die Restauratoren ebenso im Umweltschutz und sind Mitglieder der NABU. Auf der eigenen Wiese in Breslack hat Christoph eine Baumschule angelegt. Denn Zauberei gibt es genauso wenig in der Umwelt – einmal zerstört, lässt sich ihr Urzustand nicht wiederherstellen. Bei der Umwelt ist es manchmal wie mit einem Möbel aus dem 18. Jahrhundert: Nach Abbeizung und neuer Oberflächenbehandlung wird eben nur eine Haut des 21. Jahrhunderts sichtbar und emotional erlebbar bleiben. (Kreiskalender 2006, Herausgeber: Landkreis Oder-Spree)

 

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